Gesellschaft

Im Laufe ihrer Geschichte haben die Mongolen verschiedene strukturelle Änderungen ihrer Gesellschaft erlebt.
Die Sippe (mong. yas oder ovog ) war eine exogame Gruppe väterlich verwandter Männer und Frauen. Das Recht auf die Nutzung eines den Lebensunterhalt sichernden Gebietes ( mong. nutag) erwarben sie durch den Kult der Ortsgottheit, des Geistesherren, des höchsten Berges der Gegend, der zugleich auch die Ahnengeister verkörperte. Die Kiyat- Borjigon, der Sippe Tschingis Khans, verehrte den Berg Burkhan Khaldun und hatte mit verwandten oder verbündeten Sippen zusammen einen Kultplatz am Fluß Orkhon. Vor Tschingis Khan und noch zu seinen Jugendzeiten lebten nach den Berichten der Geheimen Geschichte der Mongolen in der Steppen der Mongolei und in den nördlich angrenzenden Waldgebieten Sippen, rund achzig an der Zahl.
Die Sippe bestand aus Großfamilien (meist Dreigenerationenfamilien), von denen jede eine wirtschaftliche Einheit, ein ajl bildete. Sie hüteten ihre Hirten gemeinschaftlich und zogen in vom Sippenrat ihnen zugeteilten Weiden herum. In unsicheren Zeiten schlossen sich ethliche ajls zu großen befestigten Rundlagern (mong. khürje ) zusammen bzw. gehören zu größeren Einheiten. Man kann die größeren Einheiten auch Stämme nennen. Die Sippen eines Stammes konnten, aber mußten nicht miteinander blutsverwandt sein. Wenn genug Zeit zur Konsoldierung zur Verfügung stand, erschienen in jedem Fall bald ein Abstammungsmythos und eine darauf folgende Abstammungsfolge zur Bestätigung der Zusammengehörigkeit. Solch ein Sippenstammbaum ist auch im ersten Kapitel der Geheimen Geschichte zu lesen.

Frauen wurden immer aus einer anderen Sippe gewählt. Verschwägerung galt als Versicherung der Bündnisse, war also politischer Natur der Sippen. Es war auch eine heiratspolitische Strategie, indem sie ihre Töchter mit den mächtigsten Khanen der Steppe vermählen, um dem Kreis der führenden Sippen anzugehören. Solche Bemühungen sind für die Steppennomaden bezeichnend. Wenn sich die Umrisse eines künftigen Machtzentrums zeigten, schlossen sich immer mehr Sippen freiwillig an. Der Stärke wurde noch stärker, und so war es ein leichter Zwang zum Bündnis. Die Stellung der eingeheirateten Frau, obwohl sie meistens das Unterpfand der Bündnisse bildete, war auch in der Sippe ihres Gattes deswegen nicht benachteiligt. Die Ehefrauen hatten immer ihren Anteil und das Wort sowohl im wirtschaftlichen wie im politischen Leben.

Soziale Strukturen im 13. Jahrhundert

Nachdem Temüjin 1206 von den konföderierten mongolischen Sippen zum Khan erhoben war, führte er eine Neuorganisierung der Sippen seines Machtbereiches durch. Sein Ziel war die Errichtung einer straffen Militärorganisation. Zugleich wollte er auch die Widerstand leistenden Sippen schwächen. Er ordnete das ganze Volk nach dem Zehnersystem zu Zehner-, Hundert- und Tausendschaften, bei denen sich die Militär- und Zivilverwaltung überlappten. Mit der Militärorganisation nach dem Zehnersystem folgte Tschingis einer alten Steppentradition, die jedoch bis dahin vermutlich niemand so konsequent durchgeführt hatte wie er. Tschingis beabsichtigte offensichtlich die traditionellen Bindungen in den Sippen zu brechen, um die aus den Sippenbindungen gelösten Leute zu gefügigen Untertanen zu machen. Mit der Führung der Tausendschaften beauftragte er seine getreuen Gefolgsleute, die ihre Loyalität schon mit Taten bewiesen hatten.

Die Gesellschaftsordnung des mongolischen Weltreichs wurde von vielen Wissenschaftlern als eine mehr oder weniger spezielle Art von einem Nomaden-Feudalismus betrachtet. Tatsächlich treten die persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse sehr prägnant hervor. Alle Anführer des Reiches erhielten ihre Macht aus den Händen Tschingis Khans. Er verfügte alleinige Recht über Leben und Tod.
Dennoch ist es nicht berechtigt, von Feudalismus im Tschingisreich zu reden. In den Nomadengesellschaften waren nämlich die wesentlichen Grundlagen des Feudalismus nicht gegeben. Grund und Boden waren und blieben bei ihnen immer Gemeineigentum. Sie konnten als Eigentum der Sippe, des Stammes oder der Tausendschaft gelten, aber niemals gehörten sie Individuen, nicht einmal Tschingis Khan. Besitzer der Herden waren die Großfamilien, die ein ajl bewirtschafteten. Es gab keine Möglichkeit, aber unter den Verhältnissen der Steppe auch keinen Grund, die Familien zu enteignen.

Die einfachen Tausendschaftsmitglieder waren zu gewissen Abgaben oder Arbeitsleistungen, wie Postdienst, der Obrigkeit verpflichtet. Die Noyan, die Anführer der Militäreinheiten, besaßen eigene Horden, für die sie die besten Weidegründe der ihnen untergebenen Einheit zugeteilt erhielten. Tschingis organisierte auch seine Leibwächterschaft sowie die Tages- und Nachtwachen. Es waren Eliteeinheiten, die durch zahlreiche Privilegien über die anderen Truppen gestellt waren.

Weitere Entwicklung der Gesellschaft

Die Einteilung in Tausend- und Zehntausendschaften verlor nach dem Sturz der Yuan Dynastie auch bei den zentralen Mongolen an konkreten Inhalt. Im wesentlichen bedeuteten sie nun mehr teritoriale Einheiten, die auch den alten Namen otog trugen. Jedes ajl gehörte einem otog an und die Anzahl der zu einem otog gehörenden ajls waren verschieden. Allmählich übernahm bei den zentralen Mongolen der otog die Funktionen der Sippe. Dadurch erfüllte sich ein altes Gesetz der Nomadengesellschft, nämlich daß sich die Sippe als wirtschaftliche und soziale Einheit immer wieder rekonstruiert, solange die Umstände nicht grundsätzlich verändern.

Während der Mandschu Dynastie, der sich die östlichen und zentralen Mongolen unterwarfen, also vom 18. Jh. an, wurden auch die Mongolen in die Acht-Banner-Organisation des Mandschu-Militärs miteinbezogen. Die Banner, khoschyu bedeuteten sowohl eine Militäreinheit, wie auch ihr Territorium , das von den Bannermitglieder nur mit Genehmigung verlassen werden durfte. Das Gebiet eines Banners entsprach im allgemeienen einem otog. Das Banner war auf zwei Hälften unterteilt. Eine Hälfte bestand aus fünf suman, der kleinste Einheit der Zivil- und Militärverwaltung, die zugleich ein gewisses Territorium bedeutete.

Nach der Erklärung der Unabhängigkeit der Mongolei wurden die suman als kleinste Verwaltungseinheit beibehalten, aber die khoschyu wurden zu Aimag mit der ursprünglichen Bedeutung "Stamm" zusammengezogen. Sie besteht heute aus 21 Aimag. Während der Kollektivwirtschaft im Sozialismus entsprechend den Erfordernissen der Betriebsorganisation verschwanden mancherorts auch die ajl Funktion. Es erschienen große Jürtensiedlungen bis zu 100 Einzelfamilien in betriebswirtschaftlicher Arbeitsteilung.
Seit der demokratischen Wende und in der immer stark entwiklenden privat-wirtschaftlichen Gesellschaft der heutigen Zeit sind die alten Strukturen des ajls als kleinste Einheit mit intakter Funktion wieder zurückgekehrt.

Literaturhinweis:

  • Uray Köhalmi,K. Budapest (1989): Gesellschaftsstrukturen. In: Heissig/Müller (Hrsg.) (1989): Mongolen. Innsbruck, Pinguin/Frankfurt a. Main, Umschau.

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